Hochsensibilität und Corona

Hochsensibilität und Corona: Zu der medizinischen Seite des Themas gibt es leider keine Forschung. Es gibt keine Daten dazu, ob der Verlauf der Erkrankung bei Hochsensiblen stärker oder schwächer ist. Und man weiß auch nicht, ob hochsensible Menschen eher dazu neigen, an Long- oder Post-Covid zu erkranken.

Zu der Frage, wie hochsensible Menschen die Corona-Zeit erlebt haben, gibt es allerdings inzwischen einige Studien. Die Ergebnisse fasse ich hier zusammen.

Hochsensible in der Pandemie: Warum dieses Thema?

Hochsensibilität und Umweltveränderungen

Hochsensible Menschen sind empfänglicher für Umweltveränderungen aller Art. Dies ergibt sich aus den vier Merkmalen, die Hochsensibilität ausmachen:

  • Tiefe der Informationsverarbeitung
  • Übererregbarkeit
  • Emotionale Intensität
  • Sensitivität der Sinnesorgane.

Das bedeutet,  dass:

  • hochsensible Menschen Veränderungen schneller wahrnehmen als nicht hochsensible Menschen;
  • dass sie intensiver darüber nachdenken, was diese Veränderungen bedeuten;
  • dass diese Wahrnehmungen und Gedanken intensive Gefühle auslösen können;
  • und all das insgesamt kann dazu führen, dass hochsensible Menschen durch diese Veränderungen aus dem inneren Gleichgewicht gebracht werden.

Dies gilt für Veränderungen aller Art, negative wie positive [1].

Bei negativen Veränderungen kommt noch hinzu, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Hochsensibilität einerseits und einer Neigung zu Ängsten und Depression andererseits. Nicht alle hochsensiblen Menschen haben mit Ängsten und Depressionen zu tun. Aber wenn zu Hochsensibilität beispielsweise noch Angst hinzukommt, dann kann dies die Reaktion auf negative Veränderungen noch verstärken.

Hochsensibilität und Corona: Besondere Belastungen

Die Corona-Pandemie und die Zeiten der Lockdowns haben viele Herausforderungen und Belastungen mit sich gebracht. Diese waren mit Stress, Angst, Unsicherheit, Kontrollverlust und Gefühlen von Hilflosigkeit verbunden [2].

Und in der Tat hat sich gezeigt, dass in der Pandemie Ängste, Depressionen und andere psychische Belastungen zugenommen haben. Schon bestehende psychische Störungen haben sich außerdem in der Zeit von Corona verstärkt [3].

Da hochsensible Menschen sowieso stark auf negative Veränderungen reagieren, ist durchaus denkbar, dass die Zeit von Corona für sie belastender war als für nicht-hochsensible Menschen. Dies gilt umso mehr, wenn ein hochsensibler Mensch schon vor der Pandemie zu Angst und Depression geneigt hat.

Hochsensibilität hat allerdings zwei Seiten: Negative Situationen sind für Hochsensible belastender. Aber sie profitieren auch mehr von positiven Situationen und Unterstützungsangeboten [1].

Und manche Aspekte der Pandemie wurden in der Allgemeinbevölkerung auch durchaus positiv wahrgenommen [2]. Dazu zählen z. B. die Entschleunigung oder die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten und somit mehr Zeit für die Familie zu haben.

Und so ist es durchaus möglich, dass hochsensible Menschen die Corona-Zeit teilweise auch positiv wahrgenommen haben und dass dies zu einem erhöhten Wohlbefinden geführt hat.

Hochsensibilität und Corona: Kinder und Jugendliche

Das Erleben von Kindern in Stresssituationen hängt mit dem Erleben der Eltern zusammen: Nicht nur kann sich der Stress, den ein Elternteil erlebt, auf das Kind übertragen. Außerdem ist zu vermuten, dass Eltern mit hohem Stresserleben sich auch weniger auf das Kind konzentrieren können.

Forschung zum Erleben der Corona-Zeit durch Kinder und Jugendliche bezieht daher meist sowohl die Kinder als auch die Eltern mit ein.

Hochsensible Kinder in der Corona-Zeit

Lionetti und Kolleg:innen haben zwei Untersuchungen zu diesem Thema mit Kindern aus verschiedenen Altersgruppen in Italien durchgeführt [4].

Die erste Studie wurde mit Kindern im Vorschulalter durchgeführt, und zwar sowohl zu Beginn des Lockdowns als auch einen Monat nach Ende. Erfasst wurde sowohl das Stresserleben der Eltern als auch der Kinder. Bei den Kindern wurde zwischen zwei Arten von Stress-Symptomen unterschieden:

Internalisierte Symptome, z. B. Ängste, Trauer, Depression usw.

Externalisierte Symptome, z. B. aggressives oder hyperaktives verhalten, Wutausbrüche usw.

Im Verlauf der Corona-Pandemie bestand für alle Kinder ein enger Zusammenhang zwischen Stress bei den Eltern und Stresserleben und –symptomen bei den Kindern: Je höher das Stresserleben der Eltern, desto mehr Stresssymptome zeigten sich bei den Kindern, sowohl internalisierte als auch externalisierte. Dies war bei hochsensiblen und nicht-hochsensiblen Kindern gleichermaßen der Fall.

Wenn das Stresserleben der Eltern niedrig war, dann traten bei den hochsensiblen Kindern jedoch deutlich weniger Verhaltensprobleme auf als bei den nicht-hochsensiblen. Speziell für die hochsensiblen Kinder wirkte sich das Zusammensein mit den nicht-gestressten Eltern also quasi als Schutzfaktor gegen die Entstehung von Verhaltensproblemen aus. Nicht-hochsensible Kinder  profitierten dagegen weniger von der Ruhe, die diese Eltern ausstrahlten.

Die zweite Studie wurde mit Kindern im Alter zwischen 8 und 10 Jahren durchgeführt. Zusätzlich zu internalisierten und externalisierten Stresssymptomen bei den Kindern (und deren Hochsensibilität) wurde auch die Enge der Beziehung zwischen Eltern und Kindern erfasst. Die Daten wurden kurz vor und kurz nach Beginn des ersten Lockdowns erhoben.

Je enger die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, desto weniger Stresssymptome zeigten sich bei den Kindern (sowohl internalisierte als auch externalisierte).

Dabei profitierten besonders die hochsensiblen Kinder von einer engen Beziehung zu ihren Eltern: Die hochsensiblen Kinder neigten schon vor der Pandemie zu Ängsten und Depression (internalisierte Symptome). Wenn die Beziehung zu den Eltern eng war, gingen ihre internalisierten Symptome aber sogar so stark zurück, dass sie von den nicht-hochsensiblen Kindern nicht mehr zu unterscheiden waren. Den hochsensiblen Kindern tat es also besonders gut, Zeit mit ihren Eltern zu verbringen, zu denen sie eine enge Beziehung hatten.

Zusammenfassend kann man also sagen: Die Studien zeigen, dass hochsensible Kinder die Corona-Zeit als ebenso belastend erlebt haben wie nicht-hochsensible Kinder. Hier gab es kaum Unterschiede, und alle Kinder zeigten mehr Stresssymptome, wenn die Eltern gestresst waren. In eine ähnliche Richtung weist auch eine Studien mit Kindern aus den Niederlanden [5].

Allerdings konnten hochsensible Kinder die Unterstützung durch die Eltern besser nutzen, um mit dieser belastenden Situation zurechtzukommen. Speziell für hochsensible Kinder war die Unterstützung der Eltern besonders hilfreich, wenn das Stresserleben der Eltern niedrig war und wenn Eltern und Kinder eine enge Bindung hatten.

Hochsensibilität erweist sich in dieser Studie somit als Schutzfaktor.

Hochsensible Jugendliche in der Corona-Zeit

Um hochsensible Jugendliche und junge Erwachsene und ihr Erleben der Pandemie in Japan geht es in einer Studie von Iimura [6].

Zusätzlich zur Hochsensibilität der Jugendlichen und ihrem Stresserleben während der Pandemie wurde auch ihre Resilienz erhoben. Darunter versteht man die Fähigkeit, mit schwierigen Situationen und mit Stress zurechtzukommen und danach wieder zum früheren Wohlbefinden zurückzukehren.

Es zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und Stresserleben und ein negativer Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und Resilienz.

Das bedeutet, dass die hochsensiblen Jugendlichen die Pandemie im Vergleich zu nicht-hochsensiblen Jugendlichen als belastender erlebten. Außerdem fanden sie es schwieriger, mit der Belastung umzugehen.

Es wurde aber auch deutlich, dass Resilienz den Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und Stresserleben beeinflusst: Wenn hochsensible Jugendliche über Strategien verfügten, die Belastung zu verarbeiten, dann war ihr Stresserleben auch nicht höher. Resilienz war also für die hochsensiblen Jugendlichen ein Schutzfaktor, der es ihnen ermöglichte, mit den Belastungen der Pandemie umzugehen.

Hochsensibilität und Corona: Erwachsene

Zum Erleben der Corona-Zeit bei hochsensiblen Erwachsenen liegen mehrere Studien aus verschiedenen Ländern vor: aus der Türkei, aus Tschechien und aus den Niederlanden [7, 8, 9]. Diese Untersuchungen kommen alle zu demselben Ergebnis: Die psychische Gesundheit hochsensibler Menschen wird durch die Pandemie stark beeinträchtigt.

Für die Türkei stellen Günes und Bulut fest, dass hochsensible Menschen sich mehr Sorgen um ihre Gesundheit machen. Auch haben sie eher das Gefühl, für die eigene Gesundheit verantwortlich zu sein [7].

Auch in Tschechien zeigt sich, dass hochsensible Menschen in der Corona-Zeit vermehrt mit Angst reagieren. Außerdem berichten sie, dass sich während der Pandemie ihre Beziehungen verschlechtert haben [8].

Die Untersuchung in den Niederlanden wurde nicht speziell mit hochsensiblen Menschen durchgeführt [9]. Im Mittelpunkt stand die Verarbeitung von Sinnesreizen allgemein, wobei zwischen vier Formen der Verarbeitung unterschieden wurde. Im Zusammenhang mit Hochsensibilität ist dabei die Gruppe der Menschen mit hoher Sensitivität für Sinnesreize besonders interessant.

Die Untersuchung wurde zu Beginn der Pandemie durchgeführt. Menschen mit hoher Sensibilität für Sinnesreize fühlten sich stärker gestresst als die Personen in den anderen Gruppen. Außerdem wiesen sie vermehrt Symptome von Burnout auf, wie z. B. Erschöpfung, Schlafprobleme, Ängste, Depression usw.

Hochsensibilität und Corona: Fazit

Leider gibt es bisher keine Forschung dazu, ob eine Covid-Erkrankung bei hochsensiblen Menschen anders verläuft als bei nicht-hochsensiblen. Es liegen aber inzwischen einige Studien dazu vor, wie hochsensible Menschen die Zeit der Pandemie erlebt haben.

Dabei zeigt sich auch hier, dass Hochsensibilität in beide Richtungen wirksam werden kann: Sie kann für Belastungen verletzlicher machen. Sie kann aber auch einen Schutzfaktor darstellen.

Dass Hochsensibilität für die Auswirkungen der Pandemie verletzlicher machen kann, zeigt sich besonders bei (jungen) Erwachsenen: Hochsensible Menschen erleben in der Pandemie mehr Angst, mehr Stress, mehr Burnout. Dies gilt für Menschen in unterschiedlichen europäischen Ländern.

Dass Hochsensibilität als Schutzfaktor wirksam sein kann, zeigt sich bei Kindern: Hochsensible Kinder profitieren besonders von einer engen Beziehung zu den Eltern und davon, dass Eltern Ruhe ausstrahlen. Die Wahrnehmung der guten Beziehung zu den Eltern puffert die Folgen der Pandemie sozusagen ab.

Worin besteht nun der Unterschied in der Situation von Erwachsenen und von Kindern? Bei Kindern wird die Beziehung zwischen den Veränderungen durch die Pandemie und ihrem Stresserleben durch die Eltern vermittelt. Wenn die Eltern nicht gestresst sind und wenn die Beziehung zwischen Kindern und Eltern eng ist, dann federt die Beruhigung durch die Eltern die Wahrnehmung der Pandemie und ihrer Folgen ab.

Bei den Erwachsenen scheinen solche Puffer dagegen zu fehlen oder wurden auch gar nicht untersucht. Im Gegenteil scheinen noch Faktoren hinzuzukommen, die die Folgen der Pandemie weiter verstärken.

Beziehungen zu Freund:innen und Partner:innen könnten vermitteln. Aber Beziehungen zu Freund:innen wurden durch den Lockdown eingeschränkt. Und Beziehungen zu Partner:innen haben sich während der Pandemie teilweise sogar verschlechtert [8]. Besonders ausgeprägt war das Stresserleben auch bei hochsensiblen Menschen, die sich für die eigene Gesundheit verantwortlich fühlten [7].

Zugleich zeigt die Untersuchung von Iimura [6] zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass beispielsweise Resilienz einen solchen Schutzfaktor darstellt. Es ist daher wahrscheinlich, dass es noch weitere solche Schutzfaktoren gibt, die aber bisher noch nicht untersucht wurden.

Hochsensible Menschen sind somit für Belastungen durch Situationen wie die Corona-Pandemie anfälliger als nicht-hochsensible Menschen. Sie haben aber zugleich auch bessere Möglichkeiten, solche Belastungen durch geeignete Bedingungen und Strategien aufzufangen, z.B. durch Kultivieren von Resilienz. Auch Achtsamkeit könnte eine geeignete Strategie sein. Bei Kindern ist die Beziehung zu den Eltern ein wichtiger potenzieller Schutzfaktor.

Literatur

[1] Pluess, M., & Belsky, J. (2013). Vantage sensitivity: Individual differences in response to positive experiences. Psychological Bulletin, 139(4), 901–916. https://doi.org/10.1037/a0030196

[2] Brakemeier, E.-L., Wirkner, J., Knaevelsrud, C., Wurm, S., Christiansen, H., Lueken, U., & Schneider, S. (2020). Die COVID-19-Pandemie als Herausforderung für die psychische Gesundheit: Erkenntnisse und Implikationen für die Forschung und Praxis aus Sicht der Klinischen Psychologie und Psychotherapie. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 49(1), 1–31. https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000574

[3] Strauß, B., Berger, U., & Rosendahl, J. (2021). Folgen der COVID-19-Pandemie für die psychische Gesundheit und Konsequenzen für die Psychotherapie – Teil 1 einer (vorläufigen) Übersicht. Psychotherapeut, 66(3), 175–185. https://doi.org/10.1007/s00278-021-00504-7

[4] Lionetti, F., Spinelli, M., Moscardino, U., Ponzetti, S., Garito, M. C., Dellagiulia, A., Aureli, T., Fasolo, M., & Pluess, M. (2023). The interplay between parenting and environmental sensitivity in the prediction of children’s externalizing and internalizing behaviors during COVID-19. Development and Psychopathology, 35(3), 1390–1403. https://doi.org/10.1017/S0954579421001309

[5] Burgard, S. S. C., Liber, J. M., Geurts, S. M., & Koning, I. M. (2022). Youth sensitivity in a pandemic: The relationship between sensory processing sensitivity, internalizing problems, COVID-19 and parenting. Journal of Child and Family Studies, 31(6), 1501–1510. https://doi.org/10.1007/s10826-022-02243-y

[6] Iimura, S. (2022). Sensory-processing sensitivity and COVID-19 stress in a young population: The mediating role of resilience. Personality and Individual Differences, 184, 111183. https://doi.org/10.1016/j.paid.2021.111183

[7] Güneş, S., & Bulut, B. P. (2021). Health anxiety during COVID-19: Predictive roles of health promoting behaviors and sensory processing sensitivity. The Journal of Psychology. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00223980.2021.2012110

[8] Malinakova, K.; Novak, L.; Trnka, R.; Tavel, P. Sensory Processing Sensitivity Questionnaire: A Psychometric Evaluation and Associations with Experiencing the COVID-19 Pandemic. Int. J. Environ. Res. Public Health 2021, 18, 12962. https://doi.org/10.3390/ijerph182412962

[9] van den Boogert, F., Spaan, P., Sizoo, B., Bouman, Y. H. A., Hoogendijk, W. J. G., & Roza, S. J. (2022). Sensory processing, perceived stress and burnout symptoms in a working population during the COVID-19 crisis. International Journal of Environmental Research and Public Health, 19(4), Article 4. https://doi.org/10.3390/ijerph19042043

Bildnachweis: Foto von Marcin Jozwiak auf Unsplash