Hochsensibilität – Wie alles angefangen hat


Hochsensibilität – wie alles angefangen hat: in der Forschung und mit meinem Blog.

Zunächst zu den eigenen Anfängen: Vor einigen Jahren hatte ich einen Blog zum Thema Hochsensibilität begonnen. Dort wollte ich in regelmäßigen Abständen interessante Studien zum Thema Hochsensibilität vorstellen und die wichtigsten Ergebnisse verständlich erklären.

Warum ein Blog zur Hochsensibilität?

Denn über Hochsensibilität wird nach wie vor viel geschrieben. Und das ist auch wichtig, um Wissen über das Thema bekannter zu machen. Allerdings handelt es sich dabei vor allem um Ratgeber und Erfahrungsberichte.

Wie sieht es aber mit wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Hochsensibilität aus? Leider sind die Informationen zur Hochsensibilität in der Ratgeberliteratur nur selten durch Forschung abgesichert (Ausnahmen sind hier die Bücher von Elaine Aron).

Und das ist schade, und zwar aus zwei Gründen. Denn erstens können die vielen Informationen aus der Ratgeberliteratur in die Irre führen. Und zweitens gibt es heutzutage durchaus Forschung zum Thema Hochsensibilität, die aber leider viel zu wenig bekannt ist.

So weiß man heute beispielsweise:

Greven und Ko-Autor_innen fassen in einem Überblicksbeitrag den derzeitigen Stand der Forschung zusammen [5].

Aber woher soll man auch wissen, wo solche Artikel zu finden sind, wenn man keine wissenschaftliche Ausbildung hat? Und oft sind Forschungsbeiträge auch nicht unmittelbar verständlich.

Genau hier wollte ich mit meinem Blog ansetzen: In unregelmäßigen Abständen wollte ich über eine Studie zum Thema Hochsensibilität berichten und erläutern, was die Ergebnisse eigentlich genau bedeuten.

Neubeginn

Und in der Tat sind auch einige Beiträge zusammengekommen. Aber wie es oft so geht: Das Leben kam dazwischen – vor allem Corona. Und irgendwie ist der Blog im Sande verlaufen.

Das Thema finde ich aber nach wie vor wichtig. Und dies möchte ich zum Anlass nehmen, hier noch einmal meinen allerersten Blogbeitrag zu veröffentlichen: Hochsensibilität – wie alles angefangen hat. Dabei geht es um die Untersuchung, die am Anfang der Forschung zu diesem Thema steht.

Hochsensibilität: Ziel der ersten Studie

Den Begriff der Hochsensibilität führen Elaine Aron und ihr Mann Arthur Aron im Jahr 1997 in die psychologische Fachliteratur ein. In diesem Jahr veröffentlichen sie einen Artikel in der bekannten Fachzeitschrift „Journal of Personality and Social Psychology“ [6]. Dort stellen sie insgesamt sieben Untersuchungen zu dem Thema dar.

Diese sieben Untersuchungen bilden die Grundlage für den Fragebogen zur Hochsensibilität. Diesen kennen die meisten Hochsensiblen vermutlich schon in der einen oder anderen Form. Hier soll es nun um die erste dieser sieben Forschungsarbeiten gehen.

Zu Beginn haben Elaine und Arthur Aron eine Interviewstudie durchgeführtInterviewstudie. Um zu verstehen, warum die Arons so vorgegangen sind, muss man sich zunächst in die frühen 1990er Jahre zurückversetzen.

Natürlich hat es schon immer hochsensible Menschen gegeben – aber der Begriff der Hochsensibilität existierte noch nicht. Daher wusste man damals auch nichts über Hochsensibilität. Man konnte nur auf Beobachtungen im Alltag zurückgreifen und natürlich auf die Erfahrung mit eigenen Reaktionen.

Deswegen ging es den Arons mit ihrer ersten Untersuchung vor allem darum, überhaupt erst einmal zu verstehen, was Hochsensibilität ist und wie verschiedene Menschen es erleben, hochsensibel zu sein.

Interviews gelten in der Wissenschaft als eine gute Methode, wenn man mehr über ein Thema aus der Sicht der Betroffenen erfahren möchte. Ein Interview verläuft ähnlich wie ein Gespräch im Alltag. Allerdings ist es vom Thema her festgelegt, und die Interviewerin hat schon einige Fragen vorbereitet.

Hochsensibilität: Wonach Elaine Aron gefragt hat

Um Hochsensibilität besser zu verstehen, führte Elaine Aron also 2-3stündige Gespräche mit 39 Personen durch.

Sie suchte mit einer Anzeige gezielt entweder nach introvertierten Menschen oder nach Menschen, die sich leicht überstimuliert fühlen (etwa von einer lauten Umgebung oder von schockierenden Medienberichten). Introvertierte Menschen ziehen beispielsweise die Gesellschaft von ein oder zwei anderen Personen der Gesellschaft einer ganzen Gruppe von Menschen vor. Sie können auch gut mit sich alleine sein.

Sie fragte alle Teilnehmer_innen zunächst danach, was sie von der Beschreibung von Hochsensibilität in der Anzeige hielten und wie sie selbst ihre Hochsensibilität verstehen.

Außerdem fragte sie z.B. nach: wo sich die Befragten besonders gerne aufhalten; welche Filme sie mögen; ihre Kindheit; wie sie aufgewachsen sind; Beziehung zu den Eltern; Partnerbeziehungen; Kreativität; philosophische und religiöse Ansichten.

Fragen zur Gesundheit wurden zwar bei den ersten Interviews gestellt, dann aber gestrichen.

Die Anfänge des Fragebogens zur Hochsensibilität

Leider machen die Arons in ihrem Artikel keine Angaben dazu, wie sie diese Gespräche ausgewertet haben. Vermutlich haben sie die Interviews auf solche Themen hin durchgesehen, die von mehreren Interviewten genannt wurden.

Aus diesen Themen entstanden dann die Fragen aus dem bekannten Fragebogen zur Hochsensibilität, z.B.: „Fühlen Sie sich von starken Sinneseindrücken schnell überwältigt?“; „Sind Sie gewissenhaft?“ (eigene Übersetzung) usw.

Außerdem bat Elaine Aron die Teilnehmer_innen, zwei weitere Fragebögen auszufüllen: das Myers-Briggs-Persönlichkeitsinventar (ein Persönlichkeitsfragebogen) und einen Fragebogen zum sog. Bindungsstil . Mit dem Myers-Briggs-Inventar werden Persönlichkeitsmerkmale erfasst. Und der Bindungsstil bezeichnet die Art und Weise, wie Menschen sich in engen persönlichen Beziehungen verhalten – welche Erwartungen sie an andere haben und wie sie auf andere reagieren.

Wer hat teilgenommen?

Wer waren nun die Personen, die Elaine Aron für ihre Studie befragt hat, und warum ist das wichtig? 30 der 39 Teilnehmer_innen waren Studierende der Psychologie. Neun weitere Personen waren älter und wurden vor allem in der Kunstszene gesucht. Siebzehn waren Männer, 22 Frauen; die Altersspanne reichte von 18 bis 66 Jahren.

Es sind also beide Geschlechter unter den Teilnehmenden gut vertreten, und auch verschiedene Altersgruppen sind vertreten.

Allerdings handelt es sich bei den Teilnehmer_innen um Menschen aus ganz bestimmten Personengruppen, nämlich um Studierende der Psychologie und Künstler_innen.

Das ist wichtig, weil Studierende der Psychologie und Künstler_innen nicht unbedingt mit anderen Menschen aus vergleichbar sind. Vielleicht erleben sie ihre Hochsensibilität anders als andere hochsensible Menschen.

Andererseits ist zu bedenken, dass Hochsensible sich vielleicht besonders zur Psychologie und zur Kunst hingezogen fühlen. Dann wären unter diesen Personen auch besonders viele hochsensible Menschen zu finden.

Auch führten Elaine und Arthur Aron im Anschluss an diese erste noch sechs weitere Studien durch. In diesen Untersuchungen legten sie den Fragebogen einer großen Anzahl von Personen aus den verschiedensten Bevölkerungsgruppen vor.

Schwerpunkt auf Introvertierten

Wichtig ist auch, sich genau anzusehen, wen die Arons mit ihrer Anzeige angesprochen haben, nämlich introvertierte Menschen und Menschen, die sich schnell überstimuliert und überfordert fühlen.

Elaine und Arthur Aron ging es einerseits darum, Hochsensibilität besser zu verstehen. Andererseits legten sie in ihrer Untersuchung aber auch ein ganz bestimmtes Bild von Hochsensibilität zu Grunde. Und das war ein Bild, bei dem vor allem die negativen Seiten der Hochsensibilität im Mittelpunkt standen.

Wer hätte sich wohl auf ihre Anzeige hin gemeldet, wenn sie nach Menschen mit hohem ästhetischem Empfinden gesucht hätten, oder nach Menschen mit großer Liebe zur Natur? Wie würde unser Bild von der Hochsensibilität heute aussehen, wenn Elaine Aron ihre Interviews vor allem mit solchen Menschen geführt hätte? Vielleicht ganz ähnlich – vielleicht würden aber auch die positiven und vitalen Seiten der Hochsensibilität stärker im Mittelpunkt stehen.

Der Fragebogen zur Hochsensibilität von Elaine Aron, wie wir ihn heute kennen, basiert also auf Interviews mit Personen, die einem ganz bestimmten Bild von Hochsensibilität entsprechen: dem Bild von Menschen, die sich mit ihrer Hochsensibilität schnell überlastet fühlen.

In der Tat ist dies auch eine Kritik an dem Fragebogen, der in der psychologischen Fachliteratur vorgebracht wurde – mehr dazu in einem künftigen Beitrag.

An dieser Stelle lohnt es sich, zunächst einmal festzuhalten: Hochsensibel zu sein bedeutet nicht, dass man unter der eigenen Hochsensibilität zwangsläufig leiden muss. Es gibt vielleicht noch andere, vitalere Facetten von Hochsensibilität, die bisher noch nicht genauer erforscht sind.

Hochsensibilität – Wie alles angefangen hat: Literatur

[1] Evans, D. E., & Rothbart, M. K. (2008). Temperamental sensitivity: Two constructs or one? Personality and Individual Differences, 44, 108–118. doi: 10.1016/j.paid.2007.07.016.

[2] Pluess, M., & Belsky, J. (2013). Vantage Sensitivity: Individual Differences in Response to Positive Experiences. Psychological Bulletin, 139(4), 901-916. doi:10.1037/a0030196.

[3] Wyller, H. et al. (2017). The relationship between sensory processing sensitivity and psychological distress: A model of underpinning mechanisms and an analysis of therapeutic possibilities. Scandinavian Psychologist, 4, e15. https://doi.org/10.15714/scandpsychol.4.e15.

[4] Dimulescu, C., Schreier, M. and Godde, B., 2020. EEG Resting Activity in Highly Sensitive and Non-Highly Sensitive Persons. Journal of European Psychology Students, 11(1), pp.32–40. DOI: http://doi.org/10.5334/jeps.486.

[5] Greven, C., Lionetti, F., Boothe, C., Aron, E., Fox. E., Schendang, H., Pluess, M., Bruining, H., Acevedo, B., Bijttebier, P., and Homberga, J. (2019). Sensory Processing Sensitivity in the context of Environmental Sensitivity: A critical review and development of research agenda. Neuroscience & Biobehavioral Reviews. Volume 98, March 2019, 287-305.

[6] Aron, Elaine & Aron, Arthur (1997). Sensory-Processing Sensitivity and Its Relation to Introversion and Emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73(2), 345-368.