Misophonie und Hochsensibilität: Gibt es da Gemeinsamkeiten? Und wo liegen die Unterschiede? In diesem Beitrag vergleiche ich Misophonie und Hochsensibilität im Hinblick auf ihre Merkmale, Geschichte, Auslöser, typische Reaktionen und Möglichkeiten zur Behandlung. Abschließend wird gezeigt, weshalb es sich trotz einiger Gemeinsamkeiten um ganz verschiedene Dinge handelt.
Misophonie und Hochsensibilität: Merkmale
Merkmale von Misophonie
Vielleicht kennen Sie das: Ihr Gegenüber im Zug steckt sich genüsslich einen Kaugummi in den Mund oder beißt lautstark in einen Apfel. Und sobald Sie die Kaugeräusche hören, merken Sie, wie sich alles in Ihnen anspannt. Sie könnten schier aus der Haut fahren. Sie fragen sich, wie jemand so rücksichtslos sein kann, und fliehen ans andere Ende des Wagens.
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann wissen Sie nur zu gut, was Misophonie ist: Nämlich eine intensive Reaktion auf sog. Triggergeräusche. Man sagt auch: Die Toleranzschwelle gegenüber solchen Geräuschen ist bei Menschen mit Misophonie niedriger als bei anderen Menschen. Dabei kommt es nicht auf die Lautstärke des Geräuschs an.
Die Reaktion auf Trigger ist sowohl körperlich als auch emotional. Solange Menschen mit Misophonie den Auslöser wahrnehmen, können sie sich oft auf nichts anderes konzentrieren. Je nachdem, wie stark eine Misophonie ausgeprägt ist, kann sie zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führen (z. B. im Beruf, Studium oder in der Familie – man denke nur an das gemeinsame Essen).
Nicht selten ergeben sich daraus auch weitere Probleme, wie z. B. Angststörungen oder eine Depression. [1]
Merkmale von Hochsensibilität
Hochsensibilität ist durch vier Merkmale gekennzeichnet: [2]
Hochsensible Menschen verarbeiten Reize aller Art tiefer als andere Menschen. Das können Reize von den Sinnesorganen wie Geräusche, Licht oder Berührung sein. Es können aber auch Gedanken und Gefühle sein.
Wenn die Anzahl der Reize oder ihre Intensität über einer gewissen Schwelle liegen, dann erleben hochsensible Menschen einen Zustand der Reizüberflutung. Dann ist jeder weitere Input zu viel, und es geht nur noch Rückzug.
Hochsensible Menschen erleben Gefühle besonders intensiv, und sie fühlen auch stark mit anderen mit.
Schließlich nehmen Menschen mit Hochsensibilität Sinnesreize intensiv wahr. Dadurch ist ihre Reizschwelle niedriger als bei nicht-hochsensiblen Menschen. Sie nehmen ein Geräusch beispielsweise schneller als laut wahr. Zusammen mit der intensiven Reizverarbeitung kann dies zusätzlich zur Reizüberflutung beitragen.
Wenn die Umwelt von Menschen mit Hochsensibilität so gestaltet ist, dass sie vielen Reizen ausgesetzt sind, dann kommt es oft zur Reizüberflutung. Häufige Reizüberflutung stellt eine Form von Stress dar. In solchen Fällen kann es auch bei hochsensiblen Menschen zu weiteren Problemen wie Angst oder Depression kommen. [3]
Misophonie und Hochsensibilität: Merkmale im Vergleich
In einer Hinsicht sind Misophonie und Hochsensibilität sich sehr ähnlich: Das ist der Eindruck, dass alles zu viel ist, dass man es in der Situation nicht mehr aushält.
Allerdings unterscheiden sich Misophonie und Hochsensibilität darin, was diesen Eindruck auslöst. Und auch die Reaktionen auf diesen Eindruck sind verschieden. Auf diese Unterschiede gehe ich in unten noch genauer ein.
Misophonie und Hochsensibilität: Geschichte
Über Misophonie haben zum ersten Mal vor etwa 20 Jahren Jastrebov und Jastrebov geschrieben.[4] Heute wird Misophonie allgemein als Störung bezeichnet. Dabei ist man sich noch uneinig darüber, ob es sich eher um eine neurologisch-medizinische oder um eine psychologische Störung handelt. Als Krankheit ist Misophonie allerdings bisher nicht anerkannt. [1]
Auch Hochsensibilität ist ein junges Forschungsgebiet. Erstmals beschrieben wurde Hochsensibilität von Elaine und Arthur Aron in einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 1997. Das Ehepaar hatte zunächst Interviews durchgeführt. Auf dieser Grundlage haben sie einen Fragebogen entwickelt, um festzustellen, ob jemand hochsensibel ist. [5]
Elaine und Arthur Aron fassen Hochsensibilität allerdings als ein Persönlichkeitsmerkmal auf. Hochsensibilität ist also keine Störung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal wie beispielsweise Extraversion. [5]
Zwar kann es zu Störungen und Erkrankungen kommen, wenn Menschen mit Hochsensibilität immer wieder einer Reizüberflutung ausgesetzt sind (s. o.). Das gehört aber nicht zur Hochsensibilität dazu, sondern ist eine Folge dessen, dass hochsensible Menschen sich über längere Zeit in einer für sie Umgebung aufhalten, die nicht gut zu ihnen passt.
Meist tritt Misophonie schon in der Kindheit oder spätestens in der Jugend zum ersten Mal auf. [6] Hochsensibilität scheint dagegen genetisch verankert zu sein, ist also das ganze Leben über vorhanden. [3]
Misophonie und Hochsensibilität: Verbreitung
Darüber, wie weit Misophonie verbreitet ist, weiß man bisher nicht viel. In einer ganz neuen repräsentativen Untersuchung für Deutschland kommen die Forscher:innen zu dem Ergebnis, dass etwa 12% der Bevölkerung von Misophonie betroffen sind. Davon weisen knapp 10% nur leichte Symptome auf. Bei etwa 2% sind die Symptome stark und bei 0.1% extrem. [7]
Bei Hochsensibilität sind Forscher:innen sich uneinig, ob es sich dabei um ein alles-oder-nichts-Merkmal handelt (entweder man ist hochsensibel oder man ist es nicht) oder ob es sinnvoller ist, in graduellen Abstufungen von Sensibilität zu denken. Elaine Aron ging ursprünglich davon aus, dass etwa 20% der Menschen (und übrigens auch je 20% anderer Spezies) hochsensibel sind. [5]
In der neueren Forschung denkt auch sie – gemeinsam mit Koautor:innen – eher in Abstufungen. Auf der Grundlage einer repräsentativen Studie wurden etwa 30% der Teilnehmer:innen als hochsensibel eingestuft, ebenfalls etwa 30% als unterdurchschnittlich und ca. 40% als durchschnittlich sensibel. [8]
Misophonie und Hochsensibilität sind also beides relativ neue Forschungsgebiete. Allerdings wird Misophonie als Störung betrachtet. Hochsensibilität stellt dagegen gerade keine (erworbene) Störung dar, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal, das genetisch verankert ist. Vermutlich sind zwischen 20 und 30% der Menschen hochsensibel. Wie weit Misophonie verbreitet ist, darüber ist bisher eher wenig bekannt. Eine neue Studie für Deutschland ergibt, dass Misophonie bei etwa 10% der Bevölkerung auftritt. Misophonie ist also deutlich seltener als Hochsensibilität.
Misophonie und Hochsensibilität: Auslöser
Auslöser bei Misophonie (Trigger)
Auslöser von Misophonie werden als Trigger bezeichnet. Dies sind meist rhythmische, wiederholte Geräusche, die der Körper eines Menschen erzeugt. Zu den häufigsten Triggern gehören Geräusche beim Essen (wie Chips essen oder Kaugummi kauen), Atem- oder Schniefgeräusche, Geräusche durch Finger (Fingernägel bearbeiten, Kugelschreiber klicken, Tastaturgeräusche), Mund- und Kehlgeräusche (Räuspern, Küssen), Umgebungsgeräusche (Musik von Nachbarn, sich unterhaltende Nachbarn). [6]
Die Lautstärke ist dabei egal. Auch leise Geräusche können bei Misophonie Trigger sein.
Aber nicht nur Geräusche können Auslöser sein. Auch rhythmische Bewegungen können solche starken Reaktionen auslösen. Dazu gehören z. B. Schaukeln von Beinen oder Spielen mit den Haaren. In solchen Fällen spricht man von Misokinesie.
Bei manchen Triggern sind rhythmische Geräusche und Bewegungen auch kombiniert, etwa bei Schnippen von Fingern oder beim lauten Kauen.
Interessanterweise sind es nicht immer die Geräusche oder die Bewegungen als solche, die stören. Manche Menschen fühlen sich z. B. stärker von den Geräuschen belastet, wenn sie von einem Familienmitglied stammen. In anderen Fällen stört ein Geräusch weniger, wenn es z. B. von einem Tier oder einem Baby produziert wird.
Auslöser bei Hochsensibilität
Bei Hochsensibilität wird eine Reizüberflutung meist durch Reize von außen ausgelöst. Das können Geräusche, Licht, Gerüche oder auch Berührungen sein. Das kann aber ebenso ein starkes Mitschwingen und Mitfühlen mit anderen Menschen sein, z. B. ein deutliches Gefühl für die Atmosphäre im Raum. [3]
Die Reizschwelle von hochsensiblen Menschen liegt sowieso schon niedriger als die nicht-hochsensibler Menschen. Sie wird umso schneller überschritten, je intensiver die Reize sind. Je lauter ein Geräusch, je heller das Licht oder je stärker ein Geruch, desto stärker fühlen sich hochsensible Menschen durch solche Reize belastet.
Ebenso wird die Reizschwelle umso schneller überschritten, je mehr Reize zusammenkommen. Eindrücke durch Geräusche, Gerüche oder Licht kommen sich also gegenseitig verstärken.
Zu den äußeren kommen bei hochsensiblen Menschen noch die Reize ‚von innen‘ hinzu. Gemeint sind damit die starken Gefühle, die hochsensible Menschen empfinden, und die vielen Gedanken, die sie sich oft in schwierigen Situationen machen.
Wenn eine hochsensible Frau beispielsweise merkt, dass es ihr auf einem Sommerfest der Firma allmählich zu viel wird, dann hört sie nicht nur die lauten Gespräche um sich herum und vielleicht eine Band, die spielt. Sondern sie ärgert sich über sich selbst, dass es ihr nicht gelingt, das Fest zu genießen. Und sie fragt sich vielleicht, was ihre Kolleginnen und Kollegen von ihr denken, wenn sie jetzt schon geht. All das zusammen erzeugt das Gefühl von Reizüberflutung.
Misophonie und Hochsensibilität: Auslöser im Vergleich
Die Auslöser des Gefühls von ‚Zuviel‘ bei Misophonie und bei Hochsensibilität sind ganz unterschiedlich. Auslöser für Misophonie sind bestimmte Geräusche oder Bewegungen, nämlich rhythmische Geräusche und Bewegungen, die vom menschlichen Körper erzeugt werden. Auslöser bei Hochsensibilität können dagegen völlig unterschiedliche Sinnesreize sein. Ob sie rhythmisch sind oder nicht oder wie sie erzeugt werden, spielt bei Hochsensibilität keine Rolle.
Bei Misophonie ist die Lautstärke eines Geräuschs nicht wichtig. Das Geräusch als solches stellt einen Trigger dar, unabhängig von seiner Lautstärke. Bei Hochsensibilität spielt dagegen die Intensität eines Reizes eine wichtige Rolle für die Reizüberflutung: Je lauter ein Geräusch, desto schneller ist die Reizschwelle des hochsensiblen Menschen überschritten und desto eher kommt es zur Reizüberflutung.
Ein weiterer Unterschied zwischen den Auslösern bei Misophonie und Hochsensibilität besteht darin, dass bei Misophonie nur (bestimmte) Sinnesreize von außen Trigger sein können. Bei Hochsensibilität können dagegen Gedanken und Gefühle zusätzlich zur Reizüberflutung beitragen.
Misophonie und Hochsensibilität: Reaktionen auf Auslöser
Reaktionen bei Misophonie
Reaktionen auf Trigger zeigen sich körperlich, in den Gefühlen und Gedanken und auch im Verhalten. [6]
Körperliche Reaktionen gehen vom autonomen Nervensystem aus. Sie sind unwillkürlich und nicht willentlich beeinflussbar: Muskeln in Nacken und Schultern spannen sich an, das Herz schlägt schneller, und man fängt an zu schwitzen.
Wenn Misophoniker einem Trigger ausgesetzt sind, dann spüren sie auf der Gefühlsebene beispielsweise Wut, Irritation, Ärger, Ekel oder auch Angst. Es gehen ihnen dabei Gedanken durch den Kopf wie: Wenn r / sie nur endlich aufhören würde. Wie kann man nur so rücksichtslos sein? Merkt er / sie denn gar nicht, wie laut das Kauen / Atmen usw. ist?
Bei Kindern kann sich all das so weit steigern, dass es zu Wutausbrüchen und aggressivem Handeln kommt. Erwachsene versuchen eher, den Reiz zu dämpfen (Kopfhörer, Wegschauen), sich aus der Situation zu entfernen oder den Trigger ganz zu vermeiden.
Reaktionen bei Hochsensibilität
Reaktionen auf Reizüberflutung bei Hochsensibilität wurden bisher nicht so differenziert erforscht wie für Misophonie.
Auf der körperlichen Ebene ist davon auszugehen, dass Reizüberflutung eine Form von Stress darstellt. Daher sind dieselben Reaktionen des autonomen Nervensystems zu erwarten, wie sie auch bei anderen Formen von Stress auftreten. Das ist in erster Linie die Aktivierung des Sympathikus, was u.a. mit schnellerem Herzschlag, erhöhtem Blutdruck und vermehrter Muskelanspannung einhergeht. [9]
Auf der Ebene von Gedanken und Gefühlen fühlen hochsensible Menschen sich bei Überschreiten ihrer Reizschwelle überwältigt und schnell erschöpft. Sie haben das Gefühl, dass nichts mehr geht, und möchten sich aus der Situation zurückziehen. [5]
Misophonie und Hochsensibilität: Reaktionen im Vergleich
Auf der körperlichen Ebene sind die Reaktionen bei Menschen mit Misophonie und bei hochsensiblen Menschen vergleichbar. Das ist dadurch zu erklären, dass beide sich in Anwesenheit von Auslösern in einer Stresssituation befinden. Stressreaktionen werden vom autonomen Nervensystem gesteuert, sind nicht willentlich kontrollierbar, und laufen bei verschiedenen Menschen vergleichbar ab.
Reaktionen in Gefühlen und Gedanken sind dagegen unterschiedlich. Bei Menschen mit Misophonie überwiegt Irritation, die sich bis zur Wut und sogar Aggression steigern kann. Sie sind durch die Trigger sozusagen aktiviert. Hochsensible Menschen reagieren dagegen mit Überforderung und Erschöpfung. Sie werden zunehmend passiv.
Auch wenn ihre Reaktionen auf Auslöser teilweise verschieden sind, ziehen Menschen mit Misophonie und hochsensible Menschen aus diesen Reaktionen wiederum ähnliche Konsequenzen: Sie versuchen, Auslöser möglichst zu vermeiden, z. B. indem sie sich wegsetzen, Kopfhörer tragen oder Situationen mit Triggern gar nicht erst aufsuchen.
Für einen hochsensiblen Menschen sind Situationen mit Auslösern zwar belastend, aber bis zu einem bestimmten Punkt aushaltbar. Für Menschen mit Misophonie ist ein Trigger dagegen schier unerträglich. Daher kann es sein, dass das Vermeidungsverhalten bei Misophonikern stärker ausgeprägt ist und auch zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führt, z. B. bei der Arbeit, im Studium, oder beim Zusammensein mit Familie und Freunden.
Zusammenhänge mit anderen Störungsbildern
Es wurden mehrere Untersuchungen durchgeführt, um zu überprüfen, ob Misophonie gemeinsam mit andren Störungen wie Despression, Störungen auf dem autistischen Spektrum, Zwangsstörungen usw. auftritt. Insgesamt ergeben sich aber keine Hinweise, dass Misophonie mit anderen Störungen zusammenhängt. [10]
Auch für Hochsensibilität wurde immer wieder geprüft, ob es Zusammenhänge mit anderen Störungen gibt. Hier ist das Bild komplexer als für Misophonie. Einerseits gibt es Hinweise darauf, dass hochsensible Menschen mehr Stress erleben und stärker zu Angststörungen und zu Depression neigen als nicht-hochsensible Menschen. [3]
Andererseits kommt es jedoch darauf an, wie genau die Hochsensibilität im Einzelnen ausgeprägt ist. Hochsensibilität hat bei genauerem Hinsehen mehrere Facetten: die Sensibilität für Sinnesreize, die Tendenz zur Reizüberflutung sowie drittens ästhetische Sensibilität.
Hochsensible Menschen, bei denen in erster Linie die ästhetische Sensibilität stark ausgeprägt ist, kommen mit ihrer Hochsensibilität gut zurecht und sind auch nicht besonders anfällig für Stress und für Folgestörungen von Stress. Wenn dagegen die Sensibilität für Sinnesreize und die Tendenz zur Reizüberflutung überwiegen, geht Hochsensibilität auch häufiger mit Stress und Folgeerscheinungen einher. [3, 11]
Ob es Zusammenhänge zwischen Misophonie und Hochsensibilität gibt, dazu wurden bisher keine Untersuchungen durchgeführt.
Mit Misophonie und Hochsensibilität umgehen
Für Misophonie gibt es zwar Behandlungsansätze. Diese sind aber bisher nicht wissenschaftlich untersucht.
Jastrebov und Jastrebov gehen z, B. davon aus, dass Misophonie durch Konditionierung gelernt ist. Sie haben einen Behandlungsansatz entwickelt, bei dem in einem ersten Schritt die Verknüpfung zwischen dem Trigger und der negativen Reaktion gelöst wird. Allmählich wird der Trigger dann mit positiven Assoziationen verbunden [12]. Zur Unterstützung dieses Prozesses wurden von Thomas Dozier verschiedene Apps entwickelt.
Mit dieser Gegenkonditionierung lässt sich auch ein sog. kognitives Reframing verknüpfen. Dieser Ansatz baut auf dem Befund auf, dass es für Misophoniker einen Unterschied macht, wie ein bestimmtes Geräusch verursacht wird. So kann man sich z. B. vorstellen, dass ein Knirschen nicht vom Essen von Chips verursacht wird, sondern vom Gehen auf Schnee. [13]
Hochsensibilität dagegen stellt, wie oben beschrieben, keine Störung oder Erkrankung dar. Folglich gibt es für Hochsensibilität auch keine ‚Behandlung‘. Es gibt aber Strategien, die hochsensible Menschen dabei unterstützen können, allmählich ihr Toleranzfenster für Reize aller Art und deren Verarbeitung zu erweitern. Dazu zählen insbesondere die Achtsamkeitsmeditation [14] und der Aufbau von Resilienz [15].
Zusammenfassung
Ingesamt ist festzuhalten, dass Misophonie und Hochsensibilität trotz einiger Ähnlichkeiten ganz verschieden sind.
Ähnlich sind sich Misophonie und Hochsensibilität darin, dass in beiden Fällen ein Auslöser von außen als ‚zu viel‘ erlebt wird. Der Auslöser erzeugt Stress, und man möchte Situationen vermeiden, in denen der Auslöser vorhanden sein könnte.
Darüber hinaus sind aber vor allem Unterschiede festzuhalten. Misophonie ist eine Störung, die erstmals in der Kindheit oder Jugend auftritt, während es sich bei Hochsensibilität um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt, das genetisch verankert ist.
Auch die Auslöser sind unterschiedlich. Bei Misophonie sind das ganz bestimmte Geräusche und auch Bewegungen, unabhängig von der Lautstärke. Bei Hochsensibilität sind das die Anzahl und Intensität von Reizen. Das können Sinnesreize sein, aber auch die intensive Wahrnehmung von Gefühlen anderer und die eigene tiefe Verarbeitung aller Reize können hier eine Rolle spielen.
Misophoniker können den Triggerreiz kaum ertragen und reagieren eher mit Irritation, Ärger und Wut. Reizüberflutung bei hochsensiblen Menschen geht dagegen eher mit passiven Gefühlen von Bedrängnis einher.
Natürlich kann es trotzdem der Fall sein, dass ein hochsensibler Mensch zugleich auch Misophoniker ist. Wie oft das der Fall ist, dazu gibt es allerdings bisher keine Untersuchungen.
Literatur
[1] Swedo, Susan E. et al. (2022). Consensus definition of misophonia: A Delphi Study. Frontiers in Neuroscience, 16, 841816. https://doi.org/10.3389/fnins.2022.841816
[2] Aron, Elaine N., Aron, Arthur, & Davies, Kristin M. (2005). Adult shyness: the interaction of tempera-mental sensitivity and an adverse childhood environment. Personality & Social Psychology Bulletin, 31(2), 181–197.
[3] Greven, Corinna et al. (2019). Sensory Processing Sensitivity in the context of environmental sensitivity: A critical review and development of research agenda. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 98, 287-305. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2019.01.009
[4] Jastreboff, Margaret M., & Jastreboff, Pawel (2001). Components of decreased sound tolerance: Hyperacusis, misophonia, phonophobia. https://www.semanticscholar.org/paper/Components-of-Decreased-Sound-Tolerance-%3A-Jastreboff-Jastreboff/de98fe073ec28b2643e7295dcc91d1b090b940b1
[5] Aron, Elaine N., & Aron, Arthur (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73(2), 345-368.
[6] Schwemmle, Cornelia, & Arens, Christoph (2022). „Ear rage“: Misophonia : Review and current state of knowledge. HNO, 70(1), 3–13. https://doi.org/10.1007/s00106-021-01072-7
[7] Pfeiffer, Elisa, Allroggen, Marc, & Sachser, Cedric (2024). The prevalence of misophonia in a representative population-based survey in Germany. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology. https://doi.org/10.1007/s00127-024-02707-0
[8] Lionetti, Francesca et al. (2018). Dandelions, tulips and orchids: Evidence for the existence of low-sensitive, medium-sensitive and high-sensitive individuals. Translational Psychiatry, 8(1), 24. https://doi.org/10.1038/s41398-017-0090-6
[9] Harrold, Aine et al. (o. J.). The association between sensory processing and stress in the adult population: A systematic review. Applied Psychology: Health and Well-Being, n/a(n/a). https://doi.org/10.1111/aphw.12554
[10] Brout, Jennifer J. et al. (2018). Investigating misophonia: A review of the empirical literature, clinical implications, and a research agenda. Frontiers in Neuroscience, 12. https://doi.org/10.3389/fnins.2018.00036
[11] Lionetti, Francesca et al. (2019b). Sensory processing sensitivity and its association with personality traits and affect: A meta-analysis. Journal of Research in Personality, 81, 138-152. https://doi.org/10.1016/j.jrp.2019.05.013
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[13] Siepsiak, Marta et al. (2023). Does context matter in misophonia? A multi-method experimental investigation. Frontiers in Neuroscience, 16, 880853. https://doi.org/10.3389/fnins.2022.880853
[14] Bakker, Kaitlyn, & Moulding, Richard (2012). Sensory-Processing Sensitivity, dispositional mindfulness and negative psychological symptoms. Personality and Individual Differences, 53(3), 341–346. https://doi.org/10.1016/j.paid.2012.04.006
[15] Gucht, Veronique D., Woestenburg, Dion H. A., & Backbier, Esther (2024). To what extent is the effect of sensory processing sensitivity on distress mediated by resilience? Putting the diathesis-stress model to the test in a sample of gifted adults. Current Psychology, 43(22), 20085–20095. https://doi.org/10.1007/s12144-024-05771-6
Foto: Anna Shvets: https://www.pexels.com/photo/women-lying-on-wooden-dock-3727578/